Freitag, 22. Februar 2013

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Meine rechte Hand

Sie war immer schon ein Langeweiler und faul, dass es zum Himmel stinkt. Schon als Kind wollte sie nie mit den Sachen spielen, die ihr die Linke hinhielt. Sie meinte bloß, sie müsse sich immer von den Händen der Großen fangen und halb zu Tode quetschen lassen, das sei Aufgabe genug, außerdem sei ihr vom ewigen Geschütteltwerden ständig ein wenig übel, man solle sie also bitte in Ruhe lassen.
Als sie in die Schule kam, ging das Theater erst richtig los. Sie weigerte sich von Anfang an, jede Art von Schreibgerät zu halten. Dieses Mal redete sie sich auf die rechte Gehirnhälfte aus, die ihr angeblich nicht die notwendigen Signale sendete, daher sei sie dazu einfach nicht in der Lage. Basta.
Die schwerste Krise begann, als ich versuchte sie auszutricksen, indem ich ihr eines Tages die Tastatur eines Akkordeons vorhielt und sie zum Spielen aufforderte. Sie war fassungslos über diesen hinterhältigen Versuch, sie zur Arbeit zu zwingen, und schritt zur Tat. Zu Beginn kollaborierte sie mit den Sehnen, die aus Angst vor ihrer herrischen Art brav eine Entzündung ausbrüteten, um ihr Zeit zum Nachdenken zu verschaffen, welche sie für intensive Nachforschungen auf verschiedensten Ebenen nutzte, um schließlich herauszufinden, wer der Ansprechpartner für ihren raffinierten Plan war. Die Hypophyse gab ihr – nach reichlichem Widerstand, ich muss das honorieren, sie hat sich redlich bemüht – das Geheimnis preis: Sie hatte die Herrschaft über das Somatotropin, die Lösung all ihrer Probleme, inne. Man einigte sich, die Hypophyse durfte weiter produzieren, nur keine Lieferungen mehr an die rechte Hand zustellen.
Kurz, sie hörte auf zu wachsen.
Ich schleppte sie zu allen erdenklichen Spezialisten, die sie begrapschten und von allen Seiten fotografierten. Sie kam sogar ins Rampenlicht, als Stargast in einem medizinischen Fachartikel.
Das passte ihr natürlich gar nicht. Ihr Plan hatte zum Ziel gehabt, endlich für alle Zeiten in Ruhe gelassen zu werden, und sie sann auf Rache.
Wieder gelang es ihr, andere Körperteile einzuschüchtern. Sie verhalfen ihr dazu, dass sie mir einen bösen juckenden Ausschlag, eine äußerst schmerzhafte Nagelbettentzündung und danach auch noch gichtähnliche Symptome bescherte.
Nun wurde ich meinerseits auch langsam ungemütlich. Jahrelang hatte ich zugesehen, vieles verstanden, aus Gutmütigkeit über einiges hinweggesehen, mich von ihrer unschlagbaren Überzeugungskraft blenden lassen. Ihr Lieblingsargument war die Macht, die sie per se immer schon hatte, was sie mit zahlreichen Wendungen belegte: etwas in der Hand haben, eine Sache nicht aus der Hand geben, jemandem aus der Hand fressen – sogar mein Schicksal könne ich mir aus ihr lesen lassen!
Ihre letzten Eskapaden hatten mich ungeachtet ihres rhetorischen Genies endgültig an den Punkt getrieben, wo ich die Sache – jawohl, in die Hand nehmen musste.

Wir gehen jetzt einmal die Woche zum Therapeuten und ich beginne leise zu hoffen, dass sie doch noch vernünftig wird.
Hand aufs Herz, so geht es doch wirklich nicht, oder?

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